Kunstgeldprojekt 'Heimat' – kreative Forschung und Kooperation

16. April 2013

Von K.P. Schmitz, Kulturagent im Schulnetzwerk Munderkingen

„Was ist Heimat für Dich?“ fragt Reshide aus der fünften Klasse den Zehntklässler, während ihre Klassenkameradin Berisa mit der Kamera draufhält. „Ja, äh, ja. Heimat? Was ist das für eine Frage?“ Dabei kommt der vorher lässige junge Mann mit seinem frisch aus dem Stimmbruch gewonnenen tiefen Bass mächtig ins Schwitzen. „Äh, na, Kirche! Ich meine, katholisch und so.“ Die beiden Mädchen geben sich aus Respekt vor dem Alter damit erst einmal zufrieden, bemerken dann die lächelnd zuschauende Lehrerin des älteren Schülers und bitten auch sie um Antworten. Dabei wird ihr Lächeln etwas unsicherer. Ihre Antwort besteht dann zwar aus zusammenhängenden Sätzen, doch inhaltlich vermag sie Berisa und Reshide nicht wirklich viel mehr mitzuteilen als ihr vorher befragter Schüler.

Was denn nun Heimat alles sein kann, untersuchen Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen fünf und sechs des Schulnetzwerks Munderkingen während des laufenden Schuljahres mit den unterschiedlichen Mitteln der darstellenden Künste. Alle zwei Wochen kommt der Theaterpädagoge Volker Schubert des Landestheater Tübingen (LTT) von der anderen Seite der schwäbischen Alb nach Munderkingen an der Donau und forscht zusammen mit den Schülern zum Thema „Heimat“. Dabei kommen genauso Kameras der schülereigenen Smartphones wie klassisches Schauspiel zum Einsatz. Nach einer ausgedehnten Forschungsphase, sollen die Ergebnisse die Grundlage einer gemeinsamen öffentlichen Performance am Ende des Schuljahrs bieten.

Die Zwischenergebnisse sind für alle immer wieder überraschend: Was jeder mit dem scheinbar selbstverständlichen Begriff „Heimat“ eigentlich zum Ausdruck bringen möchte, birgt bei genauerer Betrachtung ein facettenreiches Spektrum an Geschichten, die erzählt werden können. Ob jemand schon in jungen Jahren z.B. durch einen Umzug neue Freundschaften aufgebaut hat oder ob die gelebte Tradition der Heimat von Geburt an mitgetragen wird, bestimmt das eigene Verhältnis zu Heimat fundamental. Hinzu kommen noch unterschiedliche Dialekte, wodurch die Schülerinnen und Schüler sofort hören, woher der Sprecher kommt. Sogar aus welchem Dorf aus der Umgebung jemand kommt, kann teilweise am Dialekt festgemacht werden.

Wo es Erzählungen gibt, da gibt es auch Zuhörer und damit ein Publikum. Die Qualität dieser einfachen Ur-Form des Theater entscheidet mit über das Interesse an dem Erzähler und kann für den jeweiligen sozialen Erfolg bedeutend sein. Neben dem Begriff „Heimat“ erfahren die Schülerinnen und Schüler so auch, wie sie die gegebenen Mittel ihres Körpers und alltägliche technische Hilfsmittel gezielt für ihre Kommunikation einsetzen können.

Das Projekt „Heimat“ ist Teil einer Kooperation der Munderkinger Schulen mit dem Landestheater Tübingen, die sich auf viele Bereiche des Schulalltags ausweiten wird. Die Schülerinnen und Schüler erleben bei Theaterbesuchen die gesamte Palette der darstellenden Künste auf der Bühne; der alltägliche Unterricht profitiert fächer- und jahrgangsübergreifend durch diese Besuche, indem nicht nur einzelne Klassen, sondern gleich mehrere Jahrgangsstufen Aufführungen des Theaters zusammen erleben. Für die Lehrerinnen und Lehrer werden darüber hinaus künstlerische Workshops angeboten, so dass sie genau wie die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Auftreten mit den vermittelten traditionellen Techniken der darstellenden Künste erweitern können. Der Begriff „Heimat“ wird auch hierbei wieder eine Rolle spielen.

 

Zur Person:
Als Regie- und Produktionsassistent für Film und Theater in verschiedenen Städten studierte Karl Philipp Schmitz ab 2003 Kulturpädagogik. Als Mitbegründer des internationalen Netzwerks Kunst- und Kulturschaffender 'culture.net' vermittelte er im Rahmen von Kunstprojekten verschiedenen Zielgruppen einen Zugang zu der Auseinandersetzung von Kunst mit gesellschaftlichen Standpunkten – zuletzt als Leiter des Sozialen Kulturmanagements der „OSTRALE – internationale Ausstellung zeitgenössischer Künste“ in Dresden. Er begleitet die Förderschule Munderkingen, die Grund- und Werkrealschule Munderkingen und die Realschule Munderkingen im Regierungsbezirk Tübingen.

Kontakt: karl.schmitz@kulturagenten-programm.de


Kontakt

  • Landesstelle "Kulturagenten für kreative Schulen Baden-Württemberg"
  • Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Baden-Württemberg e.V.
  • Nils Hoheußle, Leitung
  • Rosenbergstraße 50
  • 70176 Stuttgart