Im Gespräch mit dem Haus der Kulturen der Welt: „Der Mehrwert eines Kulturagenten ist die Mittlerfunktion“

22. Januar 2013
Gedankenräume" Workshop an der Anna Seghers Schule. Foto Claire Waffel

Das Haus der Kulturen der Welt über das Projekt „Gedankenräume“ und die Zusammenarbeit mit der Kulturagentin Carolin Berendts


Ein wesentliches Ziel des Modellprogramms „Kulturagenten für kreative Schulen“ ist der Aufbau von Kooperationen und Netzwerken zwischen Schulen und Kultureinrichtungen vor Ort. In Berlin beispielsweise arbeiten seit 2012 drei Berliner Kulturagenten-Schulen mit dem renommierten Haus der Kulturen der Welt (HKW) zusammen. Das Haus der Kulturen der Welt ist ein Ort für die internationalen zeitgenössischen Künste und ein Forum für aktuelle Entwicklungen und Diskurse. Gemeinsam mit der Kulturagentin Carolin Berendts wurde 2012 das Projekt „Gedankenräume“ entwickelt, bei dem sich Schülerinnen und Schüler künstlerisch mit dem Thema Architektur und Ideologie auseinandersetzten. Wie die Kooperation zustande kam, welche Rolle dabei die Kulturagentin spielte und welche weiteren Projekte zwischen den Berliner Kulturagenten-Schulen und dem Haus der Kulturen der Welt geplant sind, berichtet Eva Stein vom Haus der Kulturen der Welt. 

 

Kristin Bäßler: Eva Stein, das Haus der Kulturen der Welt hat einen eigenen Bildungsbereich, der im Rahmen Ihrer Ausstellungen, Projekte und Festivals Begegnungsräume zwischen Künstlerinnen und Künstlern und Jugendlichen schafft, die an gemeinsamen kreativen Projekten arbeiten. Wie werden die Vermittler des HKW konzeptionell in die kuratorische Arbeit des HKW einbezogen?

Eva Stein: Die Vermittler werden mit zeitlichem Vorlauf über die Konzepte der HKW-Projekte informiert, indem sie in Gesprächen bzw. durch die Übermittlung von Konzeptpapieren in die Überlegungen der Kuratorinnen und Kuratoren eingebunden werden. Darüber hinaus finden regelmäßige Gespräche statt, in denen gemeinsam Ideen für künftige Vermittlungsformate und Partnerschaften erwogen bzw. diskutiert werden.

 

K.B.: Wie gehen Sie bei der Ansprache der Jugendlichen in der Regel vor und wie sieht die Zusammenarbeit mit den Berliner Schulen aus?

E.S.:  Auf der Basis langjähriger Kooperationen arbeitet das Haus der Kulturen der Welt mit verschiedenen Berliner Schulen zusammen; dieses Netz wird kontinuierlich ausgebaut, indem neue Schulen, die für bestimmte Projekte besonders geeignet erscheinen, für Kooperationen angesprochen werden. Die Ansprache von Jugendlichen erfolgt somit über den jeweiligen Kulturagenten, die Lehrerinnen und Lehrer bzw. die Künstlerinnen und Künstler, die dann in die Vermittlungsarbeit eingebunden werden.

 

 K.B.: Im September 2012 haben Sie das Projekt „Gedankenräume“ u. a. mit drei Berliner Kulturagenten-Schulen durchgeführt. Worum ging es bei dem Projekt und wie wurde es konkret entwickelt?

E.S.: Im Oktober 2011 fand ein Gespräch zwischen der Berliner Kulturagentin Carolin Berendts, unserer Kulturvermittlerin Maria Fountoukis und der Leiterin des Bereichs Kulturelle Bildung Silvia Fehrmann statt. In diesem Gespräch stellte Frau Fehrmann das Jahresprogramm 2012 vor und man überlegte gemeinsam, wo interessante Anknüpfungspunkte sein könnten. Carolin Berendts machte damals deutlich, dass die Themen Architektur und Ideologie sehr relevante Themen für Schulen sind. Gemeinsam entwickelten sie dann die Idee, ein Schul-Vermittlungsprojekt zu initiieren, das thematisch an die Ausstellung „Architektur und Ideologie“ im HKW angedockt werden sollte. Ausgangspunkt des Projekts „Gedankenräume“ waren die Fragen: Welches Wertesystem bestimmt die Räume, in denen wir leben und arbeiten? Und welche Alternativentwürfe wären möglich und wünschenswert? Im Rahmen der Ausstellung Between walls and windows. Architektur und Ideologie luden wir dann internationale Künstler und Architekten ein, die im Herbst 2012 das Spannungsfeld von Architektur, Ideologie und Macht ausloteten. Im Vorfeld erschlossen insgesamt sechs Berliner Schulen (die Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule, die Sophie-Brahe-Gemeinschaftsschule, die Grünauer Gemeinschaftsschule, das Evangelische Gymnasium Kleinmachnow, die Albert-Einstein-Schule und die Evangelische Schule Berlin Zentrum) aus dem ehemaligen Ostteil und dem ehemaligen Westteil der Stadt mit künstlerischen Mitteln den ideologischen Hintergrund ihres eigenen Schulgebäudes sowie des Architekturdenkmals des HKWs. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung wurden zum einen auf sozialen Netzwerken, zum anderen in einer Abschlusspräsentation im HKW von den Schülerinnen und Schülern öffentlich präsentiert. Unter Anleitung von Architekten, Künstlern und Filmemachern lernten die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klasse Architektur als Sprache im historisch-politischen Kontext zu deuten. In einem Workshop beispielsweise setzten sie dann ihre Sichtweisen, Geschichten und Gegenentwürfe zu dieser Form der Architektur künstlerisch um. Die Texte, Bilder oder Kurzfilme wurden auf Social- Media-Plattformen wie Flickr, Youtube oder Wordpress publiziert und über die Vernetzung mit Facebook sowie dem GPS-basierten Tool Foursquare einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf diese Weise erhielten die künstlerischen Geschichten innerhalb des städtischen Kontexts eine ganz eigene geografische Verankerung.

 

 K.B.:Welche Rolle spielte bei der Zusammenarbeit die Kulturagentin Carolin Berendts, die seit September 2011 an den drei Berliner Kulturagenten-Schulen Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule, Sophie-Brahe-Gemeinschaftsschule und der Grünauer Gemeinschaftsschule tätig ist?

E.S.: Wie bereits beschrieben, wurde die Idee und im Anschluss auch das Konzept für „Gedankenräume“ zusammen mit Carolin Berendts entwickelt. Ihre Erfahrungen in der Schule flossen so in unsere Projektarbeit mit ein. Als Kulturagentin war sie für uns die Projektleitung der drei Kulturagenten-Schulen. Mit ihnen hat sie die Kooperationen mit dem HKW in die Wege geleitet. Zudem war sie die Vermittlerin zwischen den Schulen und den Künstlerinnen und Künstlern, die zusammen mit den drei Kulturagenten-Schulen die Projekte und Workshops durchgeführt haben. Gegen Ende des Projekts hat sie dann die künstlerischen Ergebnisse der Schulen gebündelt und gesammelt. Sie initiierte und moderierte diverse Treffen mit den Künstlerinnen und Künstlern und dem HKW, bei denen über die Projektverläufe in den Schulen berichtet und Fragen diskutiert wurden. Die Vermittlerfunktion der Kulturagentin, also zwischen den Schulen und der Kulturinstitution zu agieren, war ein wichtiger Aspekt für den Erfolg des Projekts und hat die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure sehr begünstigt. Wir haben im Projekt gemerkt, dass für uns die Zusammenarbeit mit den Schulen durch die Kulturagentin sehr erleichtert wurde und die Projekte dadurch noch mehr an die Bedürfnisse der drei Kulturagentenschulen angepasst werden konnten.

 

 K.B.: Welchen Mehrwert sehen Sie in der Rolle eines Kulturagenten für eine Kultureinrichtung?

E.S.: Der Mehrwert eines Kulturagenten ist die Mittlerfunktion zwischen den beteiligten Schulen, den Schülerinnen und Schülern und einer Kulturinstitution wie dem HKW, die aus sich heraus das nicht hätte leisten können. Ohne die Rolle des Kulturagenten hätte das Projekt „Gedankenräume“ in der Form nicht durchgeführt werden können.

 

 K.B.: Gibt es bereits Erfahrungen oder Tools, die aus dem Projekt „Gedankenräume“ generiert werden konnten und die für Ihre Arbeit noch heute nützlich sind?

E.S.:  Ja, denn das Projekt „Gedankenräume“ dient beispielsweise als Folie für ein Folgeprojekt im Jahr 2013, das mit ähnlicher Methodik im Kontext der Ausstellung „The Whole Earth“ operieren wird. Der Arbeitstitel dieses Projektes lautet „My Whole Earth“: Welche Bilder haben wir für die Welt von morgen? Wie stellen wir uns unserer Verantwortung für den blauen Planeten? Von diesen Fragestellungen ging 1968 der US-Amerikaner Stewart Brand, später Erfinder des „Personal Computers“ aus, um einen Ratgeber für eine Art Gegenkultur zu entwickeln. So entstand „The Whole Earth“, ein Kompendium von Werkzeugen, die notwendig sind, um eine alternative Zukunft zu ermöglichen. „The Whole Earth“ bildet den Ausgangspunkt für eine von Anselm Franke und Diedrich Diederichsen kuratierte gleichnamige Ausstellung sowie für das Schulprojekt „My Whole Earth“, das Schülerinnen und Schüler aus sechs Berliner Schulen in der analogen Erfahrungswelt und im digitalen Raum in einem kollaborativen Raum vernetzt. Die Ergebnisse werden wieder auf einer digitalen Plattform wie Moodle oder Prezi zusammengetragen. Das HKW kann also auf vielen Ebenen auf die Erfahrungen von „Gedankenräume“ zurückgreifen.

 

 K.B.:Wie sieht die perspektivische Zusammenarbeit mit den Berliner Kulturagenten-Schulen aus? Gibt es schon Ideen für weitere Projekte?

E.S.: Im Anschluss an „Gedankenräume“ sind zwei weitere Projekte für die Jahre 2013 und 2014 geplant, die in ähnlicher Weise durchgeführt werden und somit eine dreijährige Reihe ergeben. Diese beiden Projekte finden im Rahmen des Themenschwerpunkts „Anthropozän“ statt, den das HKW in den kommenden beiden Jahren vorstellt.

 

 K.B.:Beim Projekt „Gedankenräume“ haben Sie sehr auf soziale Netzwerke wie auf Facebook, Flickr und vor allem Foursquare gesetzt. Welche Rolle können aus Ihrer Sicht die Neuen Medien bei der Kunstvermittlung und der Generierung von Wissen spielen?

 E.S.: Da Jugendliche einen großen Teil ihrer Freizeit dem Social Web widmen, erscheinen uns die Neuen Medien als die am besten geeigneten Tools, die künstlerisch forschenden Arbeiten der Schülerinnen und Schüler zu bündeln und zu dokumentieren. Die Identifikation mit diesen Plattformen ist sehr hoch: ein gewisser Stolz, eine dieser Plattformen künstlerisch okkupiert zu haben, war bei den meisten Gedankenräume-Schülerinnen und -Schülern nicht zu übersehen. Der Schneeball-Effekt, der durch das Social Web erzielt werden kann, ist für die Arbeit mit Jugendlichen von großem Vorteil; ein Link über Facebook an einen Freund ist manchmal eher möglich als ein gemeinsamer Besuch im HKW, um die Ergebnisse eines Schulprojekts in einer Ausstellung zu betrachten. Das Ziel des HKW ist es daher weiterhin, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern die sogenannten marktorientierten Medien künstlerisch zu unterwandern, um somit den kritischen Blick auf die jeweiligen Medien zu schulen.

 

Nähere Informationen zu dem Projekt „Gedankenräume“ finden Sie unter:

http://www.kulturagenten-programm.de/laender/projekte/3/34 und unter https://de.foursquare.com/p/gedankenr%C3%A4ume/37537537


Kontakt

  • Landesstelle "Kulturagenten für kreative Schulen Berlin"
  • Gemeinnützige Deutsche Kinder- und Jugendstiftung GmbH (DKJS), Regionalstelle Berlin
  • Manuela Kämmerer (Programmleitung) Christine Florack (Programmleitung)
  • Tempelhofer Ufer 11
  • 10963 Berlin
Tel
030 / 25 76 76 -609 // -604
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