... Kulturagenten Thanassis Kalaitzis

22. Mai 2017 | Berlin
© Thanassis Kalaitzis

Warum bist Du Kulturagent geworden?

Ich bin Kulturagent geworden, weil mir ein Thema des Programms wichtig war und weiterhin ist: Teilhabe. Als Kind von Eltern mit Fluchterfahrung habe ich oft genug selbst erlebt, was es bedeutet, ungesehen und ungehört zu bleiben. Ich wurde als der Fremde wahrgenommen. Mir ist es deshalb wichtig, mit jungen Menschen zu erforschen, was eigentlich dieses "Wir" ist, das zur Ausgrenzung des "Anderen" führt. Bis zu welchem Punkt unterstützt Selbstbestimmung die Stärkung der Identität und ab wann schließt diese neue Wir-Definitionen wiederum andere aus. Die Künste, so wie wir sie im Programm Kulturagenten für kreative Schulen Berlin einsetzen, erlauben es in ihrer Freiheit, individuelle Beziehungen zu Werken aufzunehmen, eigene Positionen zu definieren und sie im Dialog zu verhandeln. Ich glaube, dass dieser Dialog ein Verstehen darüber produziert, was und wie ein Mensch ist. Er erlaubt Einblicke in das Mensch-Sein anderer Personen. Danach richte ich meine Projekte aus – und das nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern auch für alle Erwachsenen in den Prozessen der künstlerischen Arbeit.

Was machst Du als Kulturagent? Wie sieht Dein Arbeitstag als Kulturagent aus?

Mein Alltag als Kulturagent ist mit einer Vielzahl von Dialogen ausgefüllt: Per E-Mail, per Telefon und natürlich Face-to-Face mit allen Beteiligten aus Kunst, Kultur und Schule. Ich sehe mich häufig als Fragesteller, gelegentlich als Bittsteller und immer wieder als ausgleichendes und übersetzendes Medium. Ich spreche drei natürliche Sprachen und als Kulturagent sind weitere hinzugekommen – die der Kunst, der Wissenschaft, der Verwaltung und des Managements, um nur einige zu nennen. Ich dolmetsche in meinem Arbeitsalltag sehr viel. Außerdem verlange ich meinen Schulen Ziele ab, fordere Reflexion ein und hole von den Schülerinnen und Schülern immer wieder ihre Meinung zu den künstlerischen Aktivitäten in den Projekten, die ich mit den Schulen organisiere, ein. Als Kulturagent bin ich außerdem auch die Person, die Entwicklungswege und -perspektiven im Blick hat. Ich bin auch dafür verantwortlich, die externen Kooperierenden aus den Künsten in einen produktiven Dialog zu holen.

Was war Dein schönstes Erlebnis als Kulturagent?

Spektakuläre und breitenwirksame Projektabschlüsse berühren mich immer sehr, beispielsweise die Theaterperformance zur Eröffnung einer Schulgalerie mit Modefotos (Gerhart-Hauptmann-Schule) oder die Lese-Theater-Slamperformance nach dem "Tag des Lesens" in der Schule an der Dahme. Kraftvoll finde ich jedoch auch die kleinen Momente, in denen junge oder erwachsene Lernende formulieren, dass sie etwas und was sie gelernt haben und wie es sie selbst und ihre Beziehung zur Welt verändert (hat).
Ein Beispiel: Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse diskutieren in einem Rethorikworkshop, ob sie an einer Gauck-Rede zu dessen Amtsantritt oder der Wahlkampfrede von Michelle Obama arbeiten wollen. Sie entscheiden sich für Michelle Obama – übrigens gerade auch die Jungen. Sie begründen ihre Wahl damit, dass die Wahrnehmung von Mädchen und deren Chancen auf beruflichen und sozialen Erfolg ein wichtiges Thema in ihrem Alltag sei. Durch die Obama-Rede würden sie die strukturelle Ungleichheit der Geschlechter besser verstehen und könnten so Änderungen in der Gesellschaft herbeiführen und ihre Performance danach ausrichten. Das sind für mich die schönen Momente.

Welche drei Schulen betreust Du im Rahmen des Landesprogramms Kulturagenten für kreative Schulen Berlin und was zeichnet diese aus?

Ich bin im Bezirk Treptow-Köpenick aktiv: in der Schule an der Dahme, dem Gebrüder-Montgolfier-Gymnasium und dem Gerhard-Hauptmann-Gymnasium. Das sind drei Schulen, die erst ein Jahr im Programm sind und mitten im Prozess der kulturellen Profilarbeit stehen. Das bedeutet, dass wir in allen drei Schulen viel experimentieren und Themen der schulischen Entwicklung aufgreifen können. Wie schaffen wir es beispielsweise in der Schule an der Dahme neben der bereits starken Theaterarbeit auch ein "Musik-Standbein" einzurichten? Wie kann der IT- und NaWi-Bereich des Gebrüder Montgolfier-Gymnasiums in Kunstprojekte einbezogen werden? In allen drei Schulen wird derzeit auch die Kulturelle Bildung als Rahmenlehrplanthema an mich herangetragen.  Eine wichtige Frage dabei ist, wie wir langfristige Partnerinnen und Partner an die Schule binden, damit die Nachhaltigkeit von Kunst und Kulturarbeit in der Schule gesichert wird.

Mit welchen Kulturinstitutionen und Künstlerinnen und Künstlern planst Du zusammen zu arbeiten und wo willst Du mit Deiner Arbeit Schwerpunkte setzen?

Ich würde mich sehr freuen, wenn es gelingt, mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und dem Kammerorchester des Montgol-fier-Gymnasiums eine Kooperation einzurichten. Ebenso spannend fände ich es, das Filmfestival der Schule, die "GeMontinale", auszubauen und als Ausgangspunkt für landesweite Schulfilm-Kooperationen zu etablieren.
Die Schule an der Dahme ist bereits in der Kulturellen Bildung aktiv: Tag der Demokratie, Tag der Naturwissenschaften, Tag der Kulturen und Tag des Lesens. Hier arbeite ich an der zunehmenden Einbeziehung von Künstlerinnen und Künstlern sowie Kulturinstitutionen als Kooperierende und Impulsgebende für Inhalte und Gestalt dieser Projekte.
Das Gerhart-Hauptmann-Gymnasium bringt bereits Einiges mit. Thema hier ist die Vernetzung der bereits vielfältigen Aktivitäten in den Bereichen Musik, Kunst und Tanz.
Schwerpunkt ist und bleibt für mich: Lernen und Veränderung (Change) und die Künste als hervorragendes (Reflexions-)Medium für Selbst- und Fremdverstehen in der Schule zu implementieren.

Was hast Du in der vierjährigen Modellphase Kulturagenten für kreative Schulen gelernt und welche wichtigen Erkenntnisse nimmst Du mit in die Transferphase?

„Schulen sind auch nur Menschen." Die Summe der individuellen Lernprozesse erzeugt eine Lernentwicklung der gesamten Organisation. Für die Veränderungen von Institutionen ist es deshalb wichtig, gemeinsam mit den handelnden und entscheidenden Personen über die Wirkungen ihres Handelns zu reflektieren. Denn nur bewusste Entscheidungen erlauben es, sich den resultierenden Veränderungen zu stellen. Ich habe gelernt, sensibel auf Widerstände einzugehen und Ergebnisse von Projekten (seien sie nun Erfolge oder Misserfolge) ins Auge zu fassen, zu benennen, und transparent und möglichst allen zugänglich zu machen.

Vita von Thanassis Kalaitzis


Kontakt

  • Landesstelle "Kulturagenten für kreative Schulen Berlin"
  • Gemeinnützige Deutsche Kinder- und Jugendstiftung GmbH (DKJS), Regionalstelle Berlin
  • Manuela Kämmerer (Programmleitung) Christine Florack (Programmleitung)
  • Tempelhofer Ufer 11
  • 10963 Berlin
Tel
030 / 25 76 76 -609 // -604
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