Spurensuche: Was haben kulturelle Projekte mit Lernen zu tun?

21. April 2013
Eine 5. Klasse beginnt mit einem szenischen Projekt zum Thema „Märchen“ - zweistündig in der 3. und 4. Stunde. Nachdem sie euphorisch vom Spielen zurückkehren, schauen die Lehrer irritiert, denn die Schüler packen Bücher für die 4. Stunde aus: Die gesamte Klasse hat nicht gemerkt, dass das szenische Spiel zwei Stunden gedauert hat.

Das geschieht ja nicht gerade oft im Schulalltag, und man fragt sich: Was ist da passiert? Die Schüler hatten anspruchsvolle Aufgaben zu lösen: Sie sollten eine Szene aus einem Märchen erstellen, Rollen verteilen und spielen, Szenenbild und Dialoge planen mit dem Ziel, das Ganze vor Publikum aufzuführen – keine leichte Sache und doch verging die Zeit im Fluge. Sie haben gerne gelernt und viel gelernt – aber was genau eigentlich?

Wenn die Kinder nach Hause kommen und begeistert von solchen Projekten erzählen, freuen sich Eltern natürlich, wenn die Schule Spaß macht. Es bleibt aber auch Unsicherheit: Kommt das „richtige Lernen“ vielleicht zu kurz, lernen die Kinder genug für die Klassenarbeiten und zentralen Prüfungen? Ähnlich denken die Kollegen an der Schule: Aktivitäten wie Singen, Theater, Tanz sind als Ergänzung des Unterrichts gerne gesehen, da sie ja auch die Abschlussfeiern schmücken. Eine nette Abwechslung im Alltag, aber handelt es sich um „richtiges Lernen“?

Die Frage steht im Raum: Was bringen kulturelle/ ästhetische Projekte wie Szenisches Lernen, Ballett, Skulpturen gestalten oder Modern Dance im Sportunterricht? Die beteiligten Lehrer ahnen, dass Kreatives Lernen zentrale Fähigkeiten vermittelt, die Schülerinnen und Schülern in Schule und Leben nützlich sind, aber es lässt sich nur schwer belegen.

Lernen als ein kreativer Prozess

Die zentrale Erkenntnis der Lernforschung lässt aufhorchen: „Lernen bedeutet weit mehr als die Anhäufung von Faktenwissen oder einzelnen Fertigkeiten. Lernen ist ein kreativer Prozess des Lernenden und es entwickelt sich eine Eigendynamik, die sich durch den Kreislauf von Kreativität und Veränderung selbst verstärkt.“ (Garner, Betty: Ich hab’s. Aha-Erlebnisse beim Lernen – Was schwachen Schülern wirklich hilft. Weinheim 2009. (Beltz), S. 10f.)

Damit Lernen erfolgreich ist, müssen verschiedene Faktoren zusammen kommen – und hier werden die Ergebnisse der Lernforschung schon konkreter:

- die Herausforderung durch anspruchsvolle Aufgaben
- sich auf die Sache konzentrieren
- Beziehungen und Muster entdecken und verstehen
- Visualisierung von Sachverhalten und metaphorisches Denken in Bildern
- strukturierte Zusammenarbeit in der Gruppe
- Selbstwirksamkeit des Lernenden/ Ich-Stärkung

Herausforderung durch anspruchsvolle Aufgaben

Aufgaben, die herausfordern und Neugier wecken, sind die wahren Animateure des Lernens - diese Erkenntnis hat die Lernforschung empirisch belegt: Lernprozesse müssen selbstgesteuert ablaufen. Schüler müssen herausfinden, wie etwas funktioniert, man muss Freiräume für Neugierde schaffen. Eine englische Szene entwerfen und spielen, eine Trapeznummer immer wieder üben, bis man sie schafft, einen Schulflur mit eigenen Konzepten gestalten – das sind anspruchsvolle Aufgaben, die Kinder motivieren, indem sie sie herausfordern: Man kann selber einen Prozess gestalten, eigenes Wissen erproben, neue Fähigkeiten gewinnen, man kann individuelle Schwerpunkte setzen, es sind kreative Lösungen möglich und das Ergebnis steht nicht von vornherein fest.

Sich auf die Sache konzentrieren

Ein untrügliches Zeichen für motivierende Lernprozesse ist es, wenn die Zeit „im Fluge vergeht“ wie in dem eingangs geschilderten Beispiel, weil man konzentriert bei der Sache bleibt. Man findet manchmal in kulturellen Projekten diesen Moment, in dem die Schüler völlig in der Arbeit aufgehen und alles um sich herum vergessen: Wer sich mit dem Lernprozess identifiziert, nimmt intensiver wahr, die Ergebnisse prägen sich stärker ein. Dazu gehört auch ein ehrlicher Umgang mit dem eigenen Tun, die Fähigkeit, Rückmeldungen zu verarbeiten. Zum Prozess können auch Irrwege gehören: Vielleicht muss eine Szene neu entwickelt und der Text umgeschrieben werden, oder es gibt Probleme mit der Choreografie oder der (Zusammen-)Arbeit in der Gruppe. Die Überwindung solcher Probleme stärkt das Vertrauen in das eigene Lernverhalten, in die Fähigkeit, auch schwierige Aufgaben zu meistern.

Eine Chance für anderes Lernen

Kulturelle Projekte bieten die große Chance, das schulische Lernangebot zu erweitern. Kreatives Lernen vermittelt zentrale Kompetenzen, die Schülerinnen und Schülern in Schule und Leben nützlich sind. Das sind z.B. „Soft Skills“ wie Teamfähigkeit, Durchhaltevermögen und Kommunikationsfähigkeit. Sie erwerben aber auch Kompetenzen, die mit dem jeweiligen künstlerischen Material zusammenhängen: Deutlich zu artikulieren und auswendig zu lernen bei einem Theaterstück, Pinseltechniken und räumliche Wahrnehmung bei Kunstprojekten, Motorik und kontrollierte Bewegung bei Tanzprojekten- die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Das Faszinierende und Motivierende ist die Mischung verschiedener Fähigkeiten in einem Projekt.

Und nebenbei haben sie gelernt, dass sie Herausforderungen bestehen, und das merkt sich das Gehirn für die Zukunft, das Selbstvertrauen wächst: Das bestätigt Enja Riegel aus der Schulpraxis: „Das stärkt das Vertrauen in die eigenen Kräfte und den Mut, sich auch in anderen Bereichen auf neues, unbekanntes Terrain zu wagen. Schüler mit solchen Erfahrungen begegnen dann erstaunlich oft auch anderen Aufgaben mit einer neuen Haltung: Ich will das schaffen und ich werde das schaffen!“ (Enja Riegel: Schule kann gelingen! Wie unsere Kinder wirklich fürs Leben lernen. Frankfurt a.M. 2004 (Fischer), S. 99.) Diese Entwicklung der Persönlichkeit bezeichnet die Lernforschung mit dem Begriff Selbstwirksamkeit / Ich-Stärkung: Schüler erarbeiten etwas, was ihnen wichtig ist und worauf sie stolz sind. Dazu kommt das Gefühl, mit ihren neuen Fähigkeiten auch neue Aufgaben meistern zu können. Erfolge und Freude am kreativen Lernen wirken sich positiv auf das Lernen insgesamt und das Verhältnis zur Schule aus. Wenn sich das bei den Schülern einstellt, hat die Schule viel erreicht, auch für die Gesellschaft insgesamt.

Besonders interessant wird es, wenn man solche Projekte mit Themen des Fachunterrichts verknüpfen kann: Schüler gestalten Szenen in englischer Sprache, in Geschichte werden Szenen zu bestimmten Ereignissen erstellt, im Kunstunterricht gestalten die Schüler Projekte zur Gestaltung der Schule, in Naturwissenschaften stellen sie wichtige Experimente in Szenen dar.

Für diese Art des Lernens sind der Schule Künstler von außen hilfreich - als Wegbereiter für den Übergang oder als ständige Begleitung:

- sie haben vielseitige Erfahrung im Umgang mit künstlerischem Material und können so interessante Projektideen kreieren
- sie sind teilweise erfahren in der Steuerung solcher Prozesse und gehen unverkrampft in die schulische Realität.

Sie brauchen jedoch auch die Lehrerinnen und Lehrer als Begleiter durch den organisatorischen „Dschungel“ des schulischen Alltags, manchmal als Ratgeber für den Umgang mit Schülern und als Kooperationspartner bei den fachlichen Projekten. Der Weg wird nicht immer einfach sein, aber gemeinsam kann und wird es gelingen.

 

Autor:
Helmut Schafhausen

 

Information:

Im Dialog über Qualität(en) Kultureller Bildung - Mit dieser Orientierung initiiert das Landesbüro NRW bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung immer wieder Diskurse über die Verankerung von Kunst und Kultur in der Schule. Besonders im Rahmen gemeinsamer Fortbildungen diskutieren Kulturagentinnen und Kulturagenten und kulturbeauftragte Lehrerinnen und Lehrer aus den 30 beteiligten Schulen in Nordrhein-Westfalen ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die Qualitäten künstlerisch-kultureller Praxis. Das geschieht auch mit selbst verfassten Dossiers: Dr. Helmut Schafhausen ist Kulturbeauftragter Lehrer und Didaktischer Leiter an der Martin-Luther-King-Gesamtschule in Dortmund. Die Langform des Dossiers können Sie bei Herrn Schafhausen unter she@mlkgdortmund.de anfordern.

 

Literaturangaben

Garner, Betty: Ich hab’s. Aha-Erlebnisse beim Lernen – Was schwachen Schülern wirklich hilft. Weinheim 2009. (Beltz)
Riegel, Enja: Schule kann gelingen! Wie unsere Kinder wirklich fürs Leben lernen. Frankfurt a.M. 2004 (Fischer)


Kontakt

  • Landesprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen Nordrhein-Westfalen"
  • Arbeitsstelle "Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW"
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