Buch des Lebens ?
Die ungewöhnliche Buch-Auslage im Flur der Gebhardschule Konstanz nimmt den Betrachter sofort ein. Auf dem Boden davor Fußabdrücke aus Papier mit der Aufschrift „Bücher“.
Die ausgestellten ungewöhnlichen Werke der Buchkunst scheinen einen ganz besonderen ‚footprint‘ zu haben. Ein paar neben den dokumentierenden Fotografien hängende Beschriftungen lassen die Künstler selber zu Wort kommen: „Mir gefiel das man machen konnte was man will, z.B. Bücher anmalen oder zerschneiden.“
Das Buch als Ausgangsmaterial, aber wofür? „In meinem Buch möchte ich Dinge hineinschreiben und in ca. 10 Jahren wieder öffnen um zu sehen wie ich mich verändert habe.“ Und so ähnlich steht es dann auch auf dem zugeschnürten Buch in der Vitrine: „Zu Öffnen wenn ich 35 Jahre alt sein werde“.
Eine Art ‚Buch des Lebens‘ ?
Man glaubt es sofort, wenn man die Werke und die auf den Fotos bei der Arbeit festgehaltenen Jugendlichen betrachtet, wie sie mit großer Hingabe auf die bedruckten Seiten alter Bücher schreiben und zeichnen, Papier und Einband in Formen reißen und schneiden, Seiten zusammennähen, ganze Kapitel schreddern, neu bemalten, verkleben und leimen, alles um dem Buch ihre ureigene Prägung zu verleihen.
„Es hat Spaß gemacht. Es war auch angenehmer frei zu arbeiten, anstatt eine bestimmte Aufgabe zu haben.“
Einige der Bücher sind kaum noch als solche erkennbar, haben sich in bunte Landschaften, einsame Inseln, gemütlich gestaltete Zimmer, kistenähnliche Schreine oder kompliziert gefaltete Fächer transformiert. Auch eine Art Mumie ist zu bestaunen, ein Buch, dessen Geheimnis für die Ewigkeit verpackt wurde. Andere, eher unscheinbare Handbücher, haben sich zu Kleinoden verwandelt, deren Gestaltung sich erst beim Öffnen und Durchblättern erschließt, wie z.B. das Buch „Marias Geheimnis“, das Jeffrey mit einem Strich in „Jeffreys Geheimnis“ umtaufte und es mit zahlreichen Bildern und verzwickten Buchstabengeschichten anfüllte.
„Mir hat das Projekt sehr gut gefallen und ich würde es gerne nochmal machen“, urteilten mehrere Schülerinnen und Schüler im Nachhinein.
Das Biographische war impulsgebend bei der Weiterverarbeitung von 20 ausrangierten Büchern, die die Kunstlehrerin Andrea Bönisch und die das Projekt durchführende Künstlerin Susanne Rodler den Schülerinnen und Schülern der 9.Klasse übergaben und die dabei entstandenen Arbeiten lassen tatsächlich Blicke in die Seelen der jungen Menschen zu.
„Ich fand‘s total nice! Ich hatte viele Ideen und es war etwas ganz neues was wir gemacht haben. Es war cool mit einer richtigen Künstlerin zu arbeiten.“
Der Buchworkshop war eines von 12 Projekten aus der Reihe „culture beats“, die im Rahmen des Programms „Kulturagenten für kreative Schulen“ von November 2013 bis Januar 2014 an der Gebhardschule Konstanz durchgeführt wurden.
Text: Mirtan Teichmüller, unter Verwendung von Zitaten der Schüler
Persönlicher Beitrag der Kunstlehrerin Andrea Böhnisch zum „Buch des Lebens“
Als Susanne und ich das Projekt planten, wurden wir nach unserer anfänglichen Euphorie etwas unsicher: Können wir das Vorhaben mit Schülerinnen und Schülern einer 10. Klasse durchführen? Wie werden sie auf die Bücher reagieren? Ausgerechnet Bücher? Haben sie von denen nicht eh schon genug? Und wie sollen wir sie hinführen, bzw. motivieren zu diesem „Buch des Lebens“?
Wir hatten so viele Ideen und Materialien im Kopf, wir hätten direkt selbst loslegen können. Und dann haben wir uns getraut, mit einer „Traumreise“ (Meditation im Dunkeln) als Einstieg. 22 Schülerinnen und Schüler machten eine Traumreise, ohne Gelächter, ohne einen Ton von sich zu geben. Sie ließen sich darauf ein. Dieser Moment hat mich sehr gerührt. Von diesem Moment an wusste ich, das Projekt wird toll.
Als Kunstlehrerin habe ich normalerweise immer eine genaue Vorstellung, wie ein Angebot planerisch abläuft. Hier musste ich in eine andere Rolle schlüpfen, was mir anfänglich nicht leicht fiel. „Machen lassen“, war erst einmal die Devise, Material zur Verfügung stellen, zum Experimentieren ermuntern, erst mal keine Tipps geben, Zurückhaltung üben.
Es war so unterschiedlich, wie die Schülerinnen und Schüler an die Sache herangingen, die einen legten sofort los, andere quälten sich herum mit ihrem „Buch des Lebens“. „Wie soll ich da Leben reinbringen in ein Buch?“
Irgendwann war das Eis gebrochen. Als ihnen klar war, dass sie einfach machen durften, machten sie, und das mit einer bis zur letzten Stunde anhaltenden Motivation. Zu dieser Motivation zähle ich auch die Phasen, in denen das Nichtstun, oder vielmehr das Nichts-Tun-Können ausgehalten werden musste. Gerade in diesen Phasen war ich unendlich froh, dass die Künstlerin Susanne Rodler mit ihrer kunsttherapeutischen Erfahrung wahre Wunder bewirkte.
Die Projekttermine waren für mich das Highlight der Woche. Noch nie habe ich eine Schüler- Lehrer- Gemeinschaft erlebt, die so intensiv, so persönlich und so zeitvergessen in einem Raum zusammengearbeitet hat. Fast immer waren alle anwesend und pünktlich, ja, überpünktlich.
Dem eigenen Schaffen einen Raum geben in dem Bewertung keine Rolle spielt, in dem Material Anreize bietet, in dem die Schülerinnen und Schüler als Individuen mit eigenen Vorstellungen, Bedürfnissen und Wünschen gesehen und akzeptiert werden, lässt diese wunderbare Atmosphäre entstehen, macht diese „Bücher des Lebens“ zu kleinen „Kostbarkeiten“ in denen ganz viel Energie und Mut steckt, die übrigens von den Betrachtern der kleinen Ausstellung auch stets so gesehen und auch so behandelt wurden, mit Achtung und Bewunderung.
Einen solchen Raum wünsche ich mir für Schülerinnen und Schüler, öfter, regelmäßig, vielleicht als eine feste Einrichtung in Schulen.