„Wer trinkt noch Tee im Wedding? Wer trägt Tüten im Wedding? Wer triumphiert im Wedding? Wer ist manchmal traurig im Wedding? Wer tanzt im Wedding? Wer hatte einen schönen Traum im Wedding? Wer hat schon mal jemanden getreten im Wedding?“
Antworten auf diese und viele weitere Fragen geben die Schülerinnen und Schüler des Darstellendes Spiel-Kurses der 8. Klasse der Herbert-Hoover-Schule in ihrem Stück „Tee im Hafen der Orchidee“, das sie im April 2014 im Deutschen Theater uraufgeführt haben. Die Texte des Stückes entwickelten die Jugendlichen ausgehend von dem Roman „Tee im Harem des Archimedes“ (Mehdi Charef, 1985), das der Regisseur Nuran David Calis über die Freundschaft zweier Jugendlicher aus Vororten von Paris am Deutschen Theater inszenierte. Beide Theaterproduktionen wurden von der Dramaturgin und Theaterpädagogin des DTs Verena Schonlau dramaturgisch begleitet. Während sich die Profis eher an den Handlungsstrang des Romans hielten, setzten sich die Jugendlichen mit der darin verhandelten Fragestellung künstlerisch auseinander: Wie können sich Jugendliche in dem Spannungsverhältnis zwischen ihrem Selbstverständnis und der Erwartungshaltungen anderer zurechtfinden und welche Rolle spielt dabei die Freundschaft?
Die Schüler der 8. Klasse der Herbert-Hoover-Schule sind wie die Hauptfiguren des Romans verschiedensten Erwartungshaltungen ausgesetzt: Familie und Schule stellen an sie Anforderungen, im Freundeskreis müssen sie sich zurechtfinden und bereits jetzt sollten sie möglichst schon wissen, wo es beruflich hingehen soll. Dies erzeugt Druck, eine sogenannte Dampflock in die Zukunft, eine „Orientierungsmaschine“. Wie funktioniert diese „Orientierungsmaschine“, wie wird sie angetrieben, aus was ist sie zusammengesetzt und warum muss ich da durch? Zudem stellt sich die Frage: Wie viel bin ich am Ende noch ich selbst?
In ihren Texten beschreiben die Schülerinnen und Schüler dieses Spannungsverhältnis und geben authentische Einblicke in ihr Leben im Berliner Stadtteil Wedding:
„Mein Lieblingsort ist zuhause. Meistens bin ich mit meiner Familie zusammen. Meine Familie sagt, ich bin hilfsbereit, nett und schlau. Ich fühle keinen Neid, das habe ich von meinen Eltern gelernt. Ich habe Geborgenheit, Wärme und Liebe.“
„Meine Mutter hat mit als Wert beigebracht selbständig zu sein. Und Kochen. Meine Familie sagt, ich bin nervig, sehr nervig, und zickig.“
„Fatma: Ich bin auch in der Clique, wir sind so zehn Leute, nicht immer alle zusammen, aber 2-3 sind immer dabei. Dilara gehört dazu und andere. Wir hängen zusammen rum weil wir uns mögen und lieben. Lange Geschichte.
„Dilara: Ja, Fatma gehört dazu und andere. Manchmal weiß ich gar nicht, wieso ich mit diesen kranken Menschen chille, keine Ahnung. Wir gehen meistens essen.“
„Meine Familie sind Griechen-Türken. Wir sind Moslems aus dem Osmanischen Reich. Meine Eltern sind meine Vorbilder. Sie sind nicht langweilig, sie sind cool, nett, unterstützen mich und ich kann über alles mit ihnen reden. Wir streiten uns nie, wir reden miteinander. Auch bei schlechten Noten. Meine Eltern respektieren mich wie ich bin. Meine Mutter sagt immer: "Mach, wie du kannst." Ich habe zwei jüngere Brüder. Meine Mutter arbeitet vom Jobcenter aus für 1,50€ / Stunde und mein Vater lernt vom Jobcenter aus deutsch. Ich möchte gern MSA und eine Ausbildung machen und mein eigenes Geld verdienen. Ich möchte meine Eltern stolz machen.“
„Haram heißt verboten! Halal heißt erlaubt!
Wir hängen nicht den ganzen Tag auf der Straße rum. Das ist haram.
Wir beklauen keine Leute in der U-Bahn. Das ist haram.
Wir trinken keinen Alkohol. Das ist auch haram.
Wir rauchen nicht. Haram.
Wir nehmen keine Drogen. Haram.
Wenn Mutter oder Vater sauer sind, darf man nicht Uff machen oder mit der Zunge schnalzen. Das ist haram.
Wir helfen unseren Müttern. Das ist halal.
Wir passen auf unsere Geschwister auf. Das ist auch halal.
Wir gehen einkaufen, kochen und putzen – manchmal. Halal!“
Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse der Herbert-Hoover-Schule Berlin
Regisseurin & Theaterpädagogin: Verena Schonlau
Assistenz & Video/Fotografie: Karoline Hill
DS-Lehrer: Cordt von Oven
Schulleiter: T. Schumann
Kulturagentin: Katinka Wondrak
In Kooperation mit dem Deutschen Theater
Dramaturginnen des DT: Amelie Mallmann & Kristina Stang