... Kulturagentin Annika Niemann

27. Februar 2017 | Berlin
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Warum bist Du Kulturagentin geworden?

In den vergangenen zehn Jahren habe ich als Kunstvermittlerin für Berliner Kulturinstitutionen an der Schnittstelle von Kultureller und politischer Bildung gearbeitet. Für die ifa-Galerie Berlin (Institut für Auslandsbeziehungen) und den Deutschen Bundestag habe ich zahlreiche künstlerische Werkstätten und Projekte mit Schulklassen initiiert. Ausgangspunkt waren dabei Exponate, Installationen und Themen in den Kulturinstitutionen, die mit der Lebenswirklichkeit und den Alltagserfahrungen der Schülerinnen und Schüler in Resonanz gebracht wurden.

Seit September 2016 bin ich Kulturagentin. Hier denken wir „von der Schule aus“: Was benötigen die Schülerinnen und Schüler? Welche Themen sind gerade virulent? Wo will die Schule hin? Welche künstlerischen Impulse, welche Kulturpartner benötigen wir dafür?

Genau wie Kulturinstitutionen sich heute immer mehr als ein Ort der Bildung verstehen, sehe ich Schule als einen Kulturort. Besonders spannend wird es, wenn beide mit- und voneinander lernen.

Was machst Du als Kulturagentin? Wie sieht Dein Arbeitstag als Kulturagentin aus?

Vor allen Dingen: vielseitig! Als Kulturagentin bewege ich mich im Zwischenraum von Schule, Kulturinstitutionen und Kulturschaffenden. Meine Aufgabe sehe ich darin, zwischen den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren zu „übersetzen“ und eine gemeinsame Sprache zu finden. Im Mittelpunkt stehen also Gespräche mit allen, die in und an Schule und Kultur mitwirken: Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Künstlerinnen und Künstler, Schulleitungsgremien, Museums- und Theatermacherinnen und -macher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Eltern und viele mehr. Bei so vielen Menschen und Hintergründen kommen unterschiedliche Interessen zusammen, die es gilt zu moderieren und zu einem gemeinsamen Vorhaben zusammenzubinden, ohne Stimmen auszublenden. Natürlich gehören auch ein paar administrative Aufgaben dazu: Ich unterstütze die Schulen dabei, Anträge zu schreiben, Verwendungsnachweise zu erstellen, Projekte zu dokumentieren und zu evaluieren.

Was war Dein schönstes Erlebnis als Kulturagentin?

Ich bin noch nicht allzu lange im Programm, und doch fällt es schwer, aus den vielen Erlebnissen eines herauszugreifen. Beeindruckt hat mich zuletzt ein Besuch bei der Schülerfirma der Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule, die gemeinsam mit dem Tischler Edgar Reinke und dem Werkstattleiter Armin Pierenz eine „Hall of Fame“ bauen. Es ist ein Ausstellungsdisplay für das Schulfoyer, das die vielen Prozesse und Ergebnisse der Kulturellen Bildung sichtbar macht. Es war toll zu sehen, wie spielerisch die Schülerinnen und Schüler lernen, mit professionellen Designstrategien umzugehen. Die Qualität der ersten Ergebnisse ist bemerkenswert und kann mit Galerieproduktionen locker mithalten. Als Schülerfirma ist das auch wichtig, denn die Produkte sollen über den eigenen schulischen Rahmen hinaus vertrieben werden.

Welche drei Schulen betreust Du im Rahmen des Landesprogramms Kulturagenten für kreative Schulen Berlin und was zeichnet diese aus?

In der Bettina-von-Arnim-Schule im Märkischen Viertel, Reinickendorf, hat die Kulturelle Bildung schon lange einen festen Platz und kann auf zahlreiche erprobte Kooperationen bauen. Ein Höhepunkt ist dabei das jährlich zusammen mit der Jugendkunstschule ATRIUM organisierte „More than Arts Festival“, an dem die ganze Schule mitwirkt. Als Referenzschule werden nun Formate entwickelt, das Erfahrungswissen an andere Schulen weiterzugeben.

Die Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule in Moabit hat einen reformpädagogischen Ansatz mit offenen Lernformaten, in denen die Schülerinnen und Schüler zu selbst gewählten Fragestellungen projekthaft und eigenverantwortlich arbeiten. Diese Struktur ermöglicht viele Freiräume für Kulturelle Bildung. Zurzeit denken wir darüber nach, wie diese noch transdisziplinärer verankert werden kann, indem Lernwerkstätten und ästhetische Forschung miteinander verschränkt werden.

Die Paul-Löbe-Schule ist eine Integrierte Sekundarschule (ISS) in Reinickendorf. Im Zentrum des kulturellen Profils steht die Stärkung von innen heraus, indem die zahlreichen bereits initiierten kulturellen Aktivitäten stärker verschränkt, gegenseitig befruchtet und sichtbar gemacht werden. Derzeit entwickeln Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit der Kuratorin Shulamit Bruckstein und dem Künstler Sebastián Collado den „Paul-Löbe-Atlas“, eine poetische Kartografie der an der Schule verorteten kulturellen Fragestellungen, Aktivitäten und Protagonistinnen und Protagonisten.

Mit welchen Kulturinstitutionen und Künstlerinnen und Künstlern planst Du, zusammenzuarbeiten, und wo willst Du mit Deiner Arbeit Schwerpunkte setzen?

Ein Schwerpunkt wird die Verschränkung von Fachbereichen sein. Kulturelle Bildung findet eben nicht nur in den „klassisch“ künstlerischen Fächern wie Kunst, Musik, Darstellendes Spiel statt.

Die Heinrich-von Stephan-Schule möchte in Lernwerkstätten ästhetische und naturwissenschaftliche Forschung verbinden. Hier planen wir derzeit eine Kooperation mit dem Museum für Naturkunde und Absolventinnen und Absolventen des Instituts für Raumexperimente. Transdisziplinarität ist auch ein Ansatz in der Kooperation der Bettina-von-Arnim-Schule mit Berlin Glas e.V., einer Glasbläserwerkstatt, die Kunst und Handwerk zusammenbringt. In einer Zusammenarbeit der Fachbereiche Kunst und Biologie wollen wir hier zelluläre Strukturen erforschen und erfinden.

Eine Herausforderung bleibt eine diversitätsbewusste, transkulturelle Bildung. Das bedeutet, Vielstimmigkeit und Multiperspektivität im Blick zu behalten, aber auch dezidiert politische Themen im Sinne einer antidiskriminierenden, antirassistischen Bildungsarbeit auf die Agenda zu setzen. Die Paul-Löbe-Schule engagiert sich bereits im Programm „Schule ohne Rassismus“. Hierauf aufbauend, planen wir eine Zusammenarbeit mit Kuringa e.V., einem Kollektiv, das Methoden des „Theater der Unterdrückten“ nutzt, um den lokalen Lebensraum zu befragen und zu verändern. In diesen Prozess möchten wir langfristig auch Lehrerinnen und Lehrer einbinden, um performative Methoden im Unterricht zu verankern.